Zwischen Menuett und Stepptanz: P Seminar des Wirsberg-Gymnasiums eröffnete neue Zugänge zu den „Die Leiden des jungen Werther“ im Rahmen eines Bühnenstücks im Bockshorn Theater.
Die letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass ohne Kultur unser Leben farblos und eintönig wird. Auch für viele Schüler und Studenten war diese Zeit nicht einfach, denn neben der kulturellen Botschaft haben auch die vielfältigen Theateraktivitäten eine soziale Komponente und stärken die solidarischen Kräfte in einer Schulgemeinschaft. Das Wirsberg-Gymnasium hat in den letzten Monaten alle Aktivitäten gebündelt und zwei herausragende Aufführungen angeboten. Während die Unterstufe vor einigen Wochen mit der Präsentation des „Hobbit“ viel Schwung und Begeisterung beim Publikum erzeugen konnte, stand beim P-Seminar des Wirsberg-Gymnasiums ein eher ernsteres Thema auf der Agenda. Der „Werther“ war nicht nur ein Bestseller beim Lesepublikum des 18. Jahrhunderts, sondern brach auch ein Tabu, indem der Selbstmord literarisch thematisiert wurde. Selbstmörder waren geächtet und erhielten in der Frühmoderne kein kirchliches Begräbnis. Goethe selbst war auf seiner italienischen Reise überrascht, dass sein Beststeller trotz Übersetzung in den ortsansässigen Buchhandlungen nicht erhältlich war. Vom Vatikan bestellte Einkäufer hatten die Bestände aufgekauft, um zu verhindern, dass Werthers Beispiel weitere Nachahmer fand.
250. Todestag von Karl Wilhelm Jerusalem
Karl Wilhelm Jerusalem hatte ein tragisches Schicksal. Als Bürgerlicher war er ein gesellschaftlicher Außenseiter, dem es nicht gelang, in adeligen Kreisen akzeptiert zu werden. Zum beruflichen Scheitern gesellten sich Partnerschaftsprobleme in Gestalt einer unglücklichen Liebe, was schlussendlich dazu führte, dass sich Jerusalem am 29.10.1772 das Leben nahm. Von diesem Suizid hätten wir heute keine Kenntnis, wenn nicht ein junger Jurist, der an vielen schöngeistigen Dingen -nur nicht an der Rechtsgelehrsamkeit – seine Freude hatte, das Schicksal Jerusalems in einem Briefroman mit dem Titel „Die Leiden des jungen Werther“ verarbeitete. Dieser sollte den Autor zu einer literarischen Lichtgestalt des 18. Jahrhunderts werden lassen. In Erinnerung an den 250.Todestag Jerusalems brachte das P-Seminar des Wirsberg-Gymnasiums in Würzburg Goethes berühmtes Werk im Bockshorn Theater Würzburg zur Aufführung.
Elemente des „Sturm und Drang“ sowie der „Empfindsamkeit“
Die Akteure haben mit dem „Werther“ keine leichte Kost gewählt. Das wusste auch das in der Theaterarbeit des Gymnasiums erfahrene Leitungsteam in Gestalt von Siegfried Hutzel und Harald Otto Kraus. Denn der Werther ist nicht nur ein Werk des „Sturm und Drang“, wie beispielsweise Goethes „Götz von Berlichingen“, sondern wird auch durch die Epoche der Empfindsamkeit geprägt. Dazu gehören die Vermittlung von starken Emotionen sowie Naturbeschreibungen wie etwa Werthers Schilderung eines Landschaftsbildes in Form eines „lieben Tals“, welches „um ihn dampft.“ Der erste dramaturgische Kunstgriff, mit dem die Akteure den Werther zu einem bühnengerechten Stück verarbeiteten, besteht darin, dass es drei Schauspieler in Gestalt der Schüler Jonas Neuberger, Francisco Göbel und Maxim Weh sind, welche den Hauptprotagonisten auf der Bühne oft gleichzeitig verkörpern. Damit wird lange vor der Ära der Psychoanalyse zum Ausdruck gebracht, was für eine komplexe und vielschichtige Gestalt der Werther ist. Gelungen ist ebenfalls die Figur der Erzählerin, dargestellt von Pia Eberbach, die das Bühnenstück am 4.05.1771 beginnen lässt, was sich genau mit dem ersten Brief vom 4.5.1771 im Roman deckt. Für die Darstellung der Natur wurde beim „WirsbergWerther“ auf die Technik der „Mauerschau“ zurückgegriffen, so dass der Erzähler bzw. die Erzählerin eben auch die landschaftlichen oder meteorologischen Eindrücke dem Publikum vermitteln kann.
Tragik im Briefroman als Keimzelle für ein Bühnenstück
Gleich in den ersten Szenen kommt es zur tragischen Verflechtung von Werthers Schicksal und man fühlt sich ein wenig an die klassischen Tragödien erinnert. Bevor die Handlung beginnt, steht der tragische Verlauf schon fest und so bringt auch Werther zum Ausdruck, dass er einen „braven“ Deutschordens-Amtmann kennengelernt hat, der selber Witwer ist und dessen älteste Tochter namens Charlotte die Rolle der Mutter übernimmt, um die zahlreichen Geschwister zu erziehen. Genau in sie verliebt sich Werther, wobei seine Zuneigung sich nicht erfüllen kann, denn Lotte ist bereits ihrem Verlobten Albert versprochen. Dieser Tragik können sich die Protagonisten nicht entziehen, wobei die Handlung des Theaterstückes zwischen dem bewährten Wechselspiel von Hoffen auf eine Vereinigung und dem Bangen vor einem endgültigen Scheitern hin und her oszilliert. Das Thema „Tod“ wird ebenfalls im „WirsbergWerther“ vorausgedeutet. Während Werthers Liebesgefühle immer stärker werden, verbreitet sich die Nachricht, dass an einem Hof im Ort ein Knecht erschlagen wurde. Werther versucht für den bereits bekannten Täter, einen jungen Bauernburschen, beim zuständigen Amtmann des Deutschen Ordens, seinem potentiellen Schwiegervater, sowie bei seinem Nebenbuhler Albert eine Gnadenurteil zu erwirken. Er scheitert nicht nur als Liebender, sondern auch als „Mittler.“
Jugendbewegung und „literarische Pubertät“
Der „Sturm und Drang“ ist vergleichbar mit einer literarischen Pubertät, bevor aus den jungen Dichtern dann „Klassiker“ werden. Genau diese literaturgeschichtliche These wird bestens bestätigt, wenn man Muse und Zeit dazu fand, eine der fünf Aufführungen des WirsbergWerther“ zu besuchen. Es sind junge Menschen, die hier auf der Bühne stehen und dem Publikum viel von der Sturm-und-Drang Bewegung vermitteln. So zeigt beispielsweise ein ausgelassener Stepptanz von Leon Wolz, der zwar nicht ins späte 18. Jahrhundert passt, aber dennoch verdeutlicht, dass in dieser Ära alte Konventionen über Bord geworfen wurden. Schließlich stellt sich die unausweichliche Frage, ob denn alles wirklich so kommen musste, so dass der Hauptprotagonist seinem Leben selbst ein Ende bereitet. Werther schreibt in seinem letzten Brief vom 20.Dezember 1772, dass sein Tod beschlossene Sache sei. So endet das Stück nicht nur mit seinem Suizid, sondern auch mit dem Auffinden und Aufbahren des toten Körpers. War das das Ende? Auch hier wagt sich der „WirsbergWerther“ an eine Interpretation heran, wie wir sie von nicht wenigen prominenten Selbstmorden kennen. Die „Hinterbliebenen“ stellen die Frage, ob es sich nicht gar um einen Unfall gehandelt hat oder alles gar nur reine Fiktion ist. Damit wird der dramatische Verlauf des Stückes im Grunde genommen wieder dekonstruiert, denn für alles gibt es im Leben immer noch Auswege, um eine Lösung zu finden. Gattungsgeschichtlich spielt dabei der Roman die größte Rolle, der durch seine sprachlichen Varianten unendliche Möglichkeiten besitzt, um Geschehnisse zu differenzieren. Die drei Werther-Figuren mit blauem Frack und gelber Weste stehen nicht nur für eine literarische Gestalt, sondern auch für eine Stilikone aus der Zeit um 1800. Die Dreiheit zeigt letztendlich auf, wie vielseitig und wie differenziert Vorgänge und Handlungen zu beurteilen sind, unter anderem auch ein Selbstmord. Im Zeitalter der Vereinfachung von Phänomen, nicht nur politischer Art, ist diese Sichtweise sehr wohltuend und zeigt den bildungspolitischen Auftrag eines bayerischen Gymnasiums, Schülerinnen und Schüler zu differenziertem Denken anzuregen, ohne dabei den jugendlichen Schwung zu verlieren. Der lockere Stepptanz verhilft eben zu ganz anderen Erkenntnissen als ein steifer Menuett-Schritt.
Dr. Dr. Thomas Richter